Es ist müßig darüber zu spekulieren, ob Änderungen anlässlich der Aufnahme des 29. und 30. NFL-Teams 1995 sinnvoll und durchzusetzen gewesen wären. Der Ligazentrale entglitt nämlich zu jener Zeit zusehends das Heft aus den Händen. Zur selben Zeit, als Jacksonville und Carolina 1995 in den Spielbetrieb einstiegen, verließen Raiders und Rams gleichzeitig Los Angeles. Geografisch änderte dies für die AFC West mit den Raiders nun in Oakland wenig. In der NFC West wurde es mit den St. Louis Rams aber nun völlig absurd. San Francisco war jetzt einziges wirkliches West-Team in der gesamten NFC, seine nächsten Nachbarn spielten in Dallas und Phoenix, allerdings in der Ost-Gruppe...
Die Gesamtliga hatte noch viel dramatischere Sorgen als solche regionalen Fragen: Sie verschwand aus Los Angeles, dem zweitwichtigsten TV-Markt der USA, und stieg dafür in Jacksonville ein, unwichtiger und kleiner als alle anderen Standorte in dieser Hinsicht (bis auf den "Sonderfall" Green Bay). Und dies, als man offiziell einen vorläufigen Schlussstrich gezogen hatte: Auf absehbare Zeit sollte es bei 30 NFL-Teams bleiben, mit dem Fusionsbeschluss von 1970 hatte man sich auf diese Obergrenze geeinigt.
Doch wie gesagt: Die Ligazentrale hatte den Laden nicht mehr im Griff. St. Louis hatte sich statt einer Lizenz von NFL-Gnaden die Rams geangelt, die anderen abgeblitzten Bewerberstädte Baltimore und Memphis buhlten im Hintergrund weiter um NFL-Eigentümer, die sich ebenfalls nicht mehr groß um Direktiven aus New York scherten. Statt geplant auf 32 Teams zuzusteuern, schlidderte die Liga bei ihrem Versuch, bei 30 den Status Quo zu bewahren, deswegen in eine Zwischenphase mit 31 Teams.
Denn nach der Saison 1995 ließ Art Modell in Cleveland in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Umzugswagen anrollen und verfrachtete sämtliches Eigentum der Browns nach Baltimore, wo er sie als Ravens ab 1996 spielen lassen wollte. Dieser Umzug wurde ein Fanal, zum Symbol dafür, dass Geld der wahre Wesenszweck der NFL geworden war. Wo genau die Teams vor den TV-Kameras spielten, welche Treue auch immer Fans bei Eis und Schnee im Stadion beschwören mochten, welche gemeinsame Erfolgs- und Leidensgeschichte sie mit "ihrem" Team zu verbinden schien - manchem Eigentümer war es wohl einfach egal. Und der Zentrale in New York fehlte die Macht, dies zu unterbinden.
Der Wille in New York war wenigstens da, oder zumindest entstand er unter dem öffentlichen Druck nicht nur aus Cleveland. Die Fan-Proteste erzwangen schließlich einen für Modell recht "billigen" Kompromiss. Die Ravens durften in Baltimore spielen und der Club sämtliches Vermögen behalten. Die "Geschichte" mit ihren Rekorden, das Logo, die Erinnerungen und alles andere, was eher "virtuell" geldwert war, kassierte die Liga ein, um es 1999 an neu gegründete Cleveland Browns zurückzugeben.
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Die Divisionseinteilung der NFL
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Teil 5: Gründung der AFL
Teil 6: Plötzlich doch: die NFL-Expansion der 60er Jahre
Teil 7: Vordenker Lamar Hunt als Dealmaker
Teil 8: Fusion 1970: Drei NFL-Teams für die AFC
Teil 9: NFC-Divisionen per Losentscheid
Teil 10: Ziel: Eine NFL mit 30 Teams
Teil 11: Der Fall Cleveland
Teil 12: Das große "Realignment" von 2002
Maskottchen der (neuen) Browns: Swagger (© Getty Images)