Der dritte volle Spieltag war angesichts des Fehlens hochkarätiger Ansetzungen eher einer zum Durchatmen, bot dann aber doch mehr Drama als man erwartet hatte. Dabei zeigte sich mal wieder, wie wichtig die Einstellung, die Motivation der Spieler ist. Georgias mühevoller 13:12-Erfolg bei Kentucky lässt sich angesichts des Qualitätsunterschiedes zwischen den beiden Kadern nur so erklären, die 180-Grad-Wende bei Oregon in der zweiten Halbzeit des Spiels bei Oregon State wurde sogar aus dem Kreis der Spieler anschließend vor allem damit begründet, und dann ist da noch die im Grunde traurigste Geschichte der ersten Wochen dieser Saison: der Total-Kollaps von Florida State, der mit der 12:20-Heimpleite gegen Memphis, der dritten Niederlage im dritten Spiel, einen neuen Tiefpunkt erreichte.
Dass ausgerechnet Georgia an diesem Spieltag Probleme bekommen könnte, damit hatte nun wirklich niemand gerechnet. So schön es einerseits ist, wenn der Top-25-Spitzenreiter seine Gegner nicht immer in Grund und Boden spielt, so befremdlich war es andererseits, zu sehen, wie schwer sich Georgia beim mageren 13:12-Erfolg bei Kentucky tat, einem Team, das eine Woche zuvor an gleicher Stelle mit 6:31 gegen South Carolina verloren hatte. Unmittelbar nach Spielende sagte Head Coach Kirby Smart, dass er immer wieder darauf hinweise, wie schwer es ist, in der SEC auswärts zu gewinnen, und dass er denke, dass seine Mannschaft diese Botschaft nicht ganz verstanden habe. Letzteres mag so gewesen sein, und zu Kentucky sollte man auch erwähnen, dass sich das Team gegen South Carolina trotz der hohen Niederlage in der Abwehr noch ganz ordentlich präsentiert hatte, aber nur ein Touchdown, weniger Rushing Yards als der Gegner und in der ersten Halbzeit lausige 63 Total Yards, das ist dann doch sehr weit hinter den eigenen Ansprüchen zurück. Besonders erstaunlich war, dass sich Georgia über weite Strecken keine Vorteile an der Line of Scrimmage erarbeiten konnte.
Am Ende ist es für Georgia nochmal gut gegangen, weil man sich in der zweiten Halbzeit steigern konnte und vor allem QB Carson Beck nach der Pause effizienter spielte (zehn erfolgreiche Pässe bei zwölf Versuchen gegenüber fünf von zwölf in Halbzeit eins). Sollte Georgia seiner Rolle als einer der Haupt-Titelanwärter letztlich gerecht werden, wird sich niemand mehr groß an das Spiel bei Kentucky erinnern, aber der Weg in die Playoffs ist noch weit und mit Auswärtsspielen gegen Alabama, Texas und Mississippi richtig hart. Das erste dieser drei Top-Spiele steht in zwei Wochen bei Alabama an. Nach dieser Partie wird man dann besser beurteilen können, ob das Kentucky-Spiel nur ein Ausrutscher war.
Offenbar tiefer gehende mentale Probleme scheint ein Conference-Rivale von Georgia, LSU, zu haben. Die Tigers gehören zum Kreis der Playoff-Kandidaten aus der SEC, konnten diese Einstufung bisher aber noch nicht bestätigen. Die knappe Auftaktniederlage gegen USC konnte man noch damit erklären, dass USC vielleicht doch besser ist, als es die meisten College-Football-Kommentatoren erwartet hatten, aber beim 36:33-Sieg bei South Carolina zeigten die Tigers die gleichen Schwächen. Der Sieg in Columbia war, da muss man nicht drumherum reden, glücklich. Ohne den verletzungsbedingten Ausfall von South Carolinas QB LaNorris Sellers im Verlauf des Spiels, einige sehr kleinliche Schiedsrichterentscheidungen zugunsten der Tigers und den vergebenen Field-Goal-Versuch der Gamecocks bei ablaufender Spielzeit hätte LSU die Partie gewiss verloren. Natürlich wusste man, dass LSU im Angriff das letztjährige Top-Niveau nicht würde halten können. Einen QB Jayden Daniels (letztjähriger Heisman-Trophy-Gewinner) plus die beiden Top-Receiver der letzten Saison, die zusammen Pässe für über 2.700 Yards und 31 Touchdowns gefangen hatten, ersetzt man mal eben so. Dennoch hat man insgesamt nicht den Eindruck, dass die bislang enttäuschende Leistung der Tigers primär an fehlender personeller Qualität liegt. Hinter den Erwartungen zurück bleibt bis jetzt die Offensive Line, die eine der Stärken sein sollte, und was die Abwehr im Bereich Tackling bislang zeigt, ist irritierend. In Kommentaren zum South-Carolina-Spiel wurde schon darüber geschrieben, dass es angeblich Kommunikationsprobleme zwischen Head Coach Brian Kelly und der Mannschaft, was immer damit genau gemeint ist, und das Kelly mit seiner Art in Baton Rouge generell nicht gut ankomme. Kelly selbst sagte zu den Schwächen, die sein Team bis jetzt gezeigt hat, dass dies alles Dinge seien, die man abstellen könne. Wenn das stimmt, so schrieb ein Kommentator, sollte Kelly damit möglichst schnell beginnen. Zwei Spiele gegen unter normalen Umständen schlagbare Gegner (UCLA und South Alabama) hat er dafür noch Zeit. Mit dem Spiel gegen Mississippi am 12. Oktober beginnt für LSU dann eine vierwöchige Phase, die darüber entscheiden wird, ob die Saison für die Tigers ein Erfolg oder im Mittelmaß enden wird.
Florida State im freien Fall
Die Situation, in der LSU aktuell steckt, wäre für Florida State fast schon paradiesisch. Die Seminoles schmieren inzwischen immer mehr ab. In der letzten Saison vor den Playoffs/Bowls ungeschlagener ACC Champion, in diesem Jahr unter den ersten Zehn der Preseason-Ranglisten, und dann das: Als erstes Preseason-Top-Ten-Team in der Geschichte des College Footballs verloren die Seminoles die ersten drei Spiele einer Saison gegen nicht platzierte Teams. Und weil die schweren Gegner (Clemson, Miami, Notre Dame, North Carolina) erst noch kommen, ist es nach jetzigem Stand wahrscheinlich, dass Florida State nicht mal eine positive Regular-Season-Bilanz erreichen wird. Natürlich hatte man erwartet, dass die Seminoles angesichts des Verlusts vieler Leistungsträger der letzten Saison nicht einfach an die Leistungen von damals würden anknüpfen können. Aber: Der Kader gilt als gespickt mit Super-Talenten, das Team als sehr gut gecoacht, Head Coach Mike Norvell sei ein brillianter offensiver Taktiker, und gegen die Abwehr müsse man schon richtig smart spielen, wenn man gegen sie erfolgreich sein wolle - so wurde das Team in einer der zahlreichen Saisonvorschauen unter anderem beschrieben.
Von all dem ist bis jetzt nichts zu sehen. Geradezu erschreckend ist, wie die Mannschaft nach der überraschenden, aber nur knappen Auftakt-Niederlage gegen Georgia Tech in sich zusammengefallen ist. Beim Aufzählen der Schwächen weiß man gar nicht, wo man anfangen oder aufhören soll. Das Laufspiel findet nicht statt, im Passspiel wirkt der neue Stamm-Quarterback DJ Uiagalelei überfordert, wird allerdings auch nicht gut geschützt (acht Quarterback Sacks in den ersten drei Spielen), die Abwehr ist an der Linie viel zu "soft", das Tackling oft eine Katastrophe. So weit eine schnelle Beschreibung der Misere.
Die Frage ist freilich, wie sich das alles erklären lässt. In den Kommentaren zum aktuellen Absturz des Teams wird immer wieder auf das Ende der letzten Saison als Wurzel allen Übels verwiesen. Damals war Florida State trotz seiner 13-0-Bilanz nicht für die Playoffs berücksichtigt worden. Weil das Team im vorletzten Punktspiel seinen Top-Spieler, QB Jordan Travis, mit einer Verletzung verloren hatte, hielt das Playoff Selection Committee die Seminoles für nicht playoff-würdig. Eine Diskussioin darüber kann man sich an dieser Stelle ersparen. Aber ist es tatsächlich denkbar, dass sich ein Team davon so aus der Bahn werfen lässt, dass das noch bis in die nächste Spielzeit nachwirkt? Eine solche Erfahrung führt normalerweise eher zu einer Trotzreaktion. Jetzt erst recht, wir zeigens denen mal. Zugegeben, eine solche Reaktion hatte es schon damals nicht gegeben. Florida State nölte ein paar Tage ob des "Playoff Snubs" rum, gut zwei Dutzend Spieler, darunter praktisch alle Leistungsträger, machten sich aus dem Staub und traten im Bowl-Spiel gegen Georgia nicht mehr an, mit der Folge einer 3-63-Demütigung.
Die damalige Reaktion des Teams war im Grunde genauso unterirdisch wie die Fehlentscheidung des Playoff Selection Committees, aber spielt das heute noch eine Rolle? Eher nicht. Im aktuellen Kader stehen 40 Spieler, die das damals gar nicht miterlebt haben, und zum Wesen des Wettkampfsports gehört auch, dass man selbst die schlimmsten Niederlagen nach einer gewissen Zeit wegsteckt und nach vorn schaut. Die Gründe für den aktuellen Zustand sind wahrscheinlich viel banaler. Die Auswirkung der großen personellen Umwälzung im Kader wurde schlicht unterschätzt, mit den Neuzugängen über das Transfer-Portal hatte man dieses Mal offenbar ein weiniger gutes Händchen als im Jahr zuvor, was vor allem für QB DJ Uiagalelei gilt, dessen Potenzial schon seit seinen Tagen bei Clemson immer überschätzt wurde, und Spieler, denen man die Rolle als neue Führungspersonen zugedacht hatte, wie etwa DE Patrick Payton, können diese Rolle bislang noch nicht ausfüllen. Gefordert ist jetzt, neben dem sehr gut bezahlten Trainerstab um Head Coach Mike Norvell, die Kabine. Die Mannschaft braucht Spieler, die mit ihrer Leistung vorangehen und den Rest der Truppe mitreißen. Groß etwas erreichen kann die Mannschaft in dieser Saison eh nicht mehr, für die Spieler geht es aber darum, sich selbst zu beweisen, zu zeigen, aus welchem Holz sie geschnitzt sind.
Hoch - 17.09.2024
Head Coach Mike Norvell durchlebt gerade seine schwierigste Zeit bei Florida State. (© Getty Images)
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