Chancen für Williams und die Bears?

Unverhofft kommt oft: Die Chicago Bears hatten sich mit fünf Siegen im November und Dezember noch bis an die Playoff-Ränge der NFC herangepirscht, ehe sie das letzte Spiel beim Erzrivalen in Green Bay verloren. Die sieben Saisonsiege waren mehr als doppelt so viele wie im Jahr davor, als man Schlusslicht der Gesamtliga gewesen war. Und doch hatte man in der Draft 2024 nun den Top-Pick, den man im Jahr zuvor an Tauschpartner Carolina Panthers abgegeben hatte, weil dieses Jahr die Panthers die rote Laterne der Liga trugen.

Nun haben die Chicago Bears nicht nur mit D.J. Moore den Top-Receiver im Kader, der der "Bonus" zum Zugriffsrechttausch war. Sondern mit dem 2024er Top-Draft-Pick Caleb Williams auch einen hochtalentierten Quarterback, der sowohl für die Oklahoma Sooners als auch für die USC Trojans spielte, wo er außergewöhnliche Fähigkeiten und Führungsqualitäten bewies, die schon 2022 mit der Heisman Trophy ausgezeichnet wurden.

Williams‘ Ankunft in Chicago weckt enorme Erwartungen. Der Übergang in die NFL bleibt auch für ihn eine große Herausforderung. Wie schnell er sich an die höhere Geschwindigkeit und körperlich robusteren Verteidiger der Liga anpassen kann, wird sich wie bei jedem Rookie-Quarterback erst zeigen müssen. Obwohl die Erwartungen hoch sind, werden Geduld und Unterstützung unerlässlich sein, soll er sich zu einem Franchise-Quarterback entwickeln.

Allerdings kommt Williams zu einem Team, das den Top-Draft-Pick nicht deswegen hatte, weil es in der Saison davor den kompletten Offenbarungseid geliefert hätte. Regulär waren die Bears ja auch ohne Williams schon immerhin im Mittelfeld der Liga. Ihren regulären Erstrunden-Pick an Stelle neun verwendeten sie auf Rome Odunze und damit auf einen Receiver, der mittelfristig eine der Lieblingsanspielstationen von Williams werden soll.

Kurzfristig glaubt und hofft man in Chicago, dass man mit dem letztjährigen Erstrunden-Pick Darnell Wright der Offensive Line bereits genug Impulse geliefert hat. Seine Athletik bewies der Rookie und hat hohes Potenzial. 2023 lag allerdings in der Offensive Line in Chicago noch einiges im Argen. Verletzungen und dazu oder deswegen inkonsistente Vorstellungen der Angriffslinie plagten sie erheblich. Ein Teil der 50 Quarterback Sacks für das Team insgesamt ging vielleicht auf die Kappe von Justin Fields (der 44 Mal zu Boden musste und nun in Pittsburgh spielen wird). Aber ob ein Rookie-Quarterback wie Williams sofort das bessere Gespür dafür haben wird, wann in der NFL der Ball dann doch besser schnell weggeworfen werden sollte, weiß man ja auch nicht.

Wenigstens schien es in der Anfangsphase des Trainingslagers keine größeren Verletzungssorgen in dem Bereich zu geben. Die mutmaßlichen Stammkräfte der Offensive Line der Bears sind aber weiterhin eher im Blocken für den Lauf einen Tick stärker als in der Pass Protection. Braxton Jones konnte nach einer komplett durchgespielten Rookie-Saison 2022 im letzten Jahr nur zwei Drittel der Spiele mitmachen. Als Left Tackle hat er den richtig starken Pass Rushern nicht immer viel entgegenzusetzen.

Darnell Wright spielte seine erste Saison ebenfalls durch, kommen beide gesund durch die neue Spielzeit, sieht alles vielleicht schon viel besser aus. Aber auch innen musste viel gewechselt werden, und Lucas Patrick, der als Center in 15 der 17 Spiele halbwegs Kontinuität lieferte, unterschrieb seinen neuen Vertrag in New Orleans. Wer nun zuverlässig die Bälle in die Hände von Williams legen soll, wird sich noch entscheiden müssen. Ryan Bates kam aus Buffalo.

Der neue Offensive Coordinator Shane Waldron arbeitet mit neuen Assistenztrainern auf praktisch allen Positionen. Als Fixpunkte der bisherigen Spieler im Offensive Backfield bleiben Receiver D. J. Moore, Tight End Cole Kmet und Running Back Khalil Herbert. Ergänzt werden sie durch die Neuzugänge DeAndre Swift als Running Back sowie Receiver Keenan Allen, die die bisherigen Nummer-zwei-Spieler Darnell Mooney beziehungsweise D’Onta Foreman ersetzen. Für Rookie-Receiver Rome Odunze zeichnet sich da im ersten Jahr schon eine größere Rolle ab.

Fast die Hälfte der verfügbaren Auswahlrechte in der Draft tauschten die Bears dieses Jahr weg, unter anderem für Center Ryan Bates oder Receiver Keenan Allen. Die Verteidigung der Bears hatte 2023 vor allem gegen den Lauf ganz nach dem Geschmack der Fans in der Windy City reüssiert. Platz eins in der Statistik mit den wenigsten erlaubten Lauf-Yards war eine deutliche Wende gegenüber den Vorjahren. Nicht ganz so steil aufwärts ging es in der Passverteidigung: Insgesamt aber ist auch die Defense ein Grund dafür, die Bears für 2024 eher in oberen denn im unteren Mittelfeld der Liga zu verorten.

Chicago hatte bereits Mitte der letzten Saison Montez Sweat im Rahmen eines weiteren Tauschs eines Draft-Rechts aus Washington geholt. Vor der Saison 2023 war bereits Linebacker Tremaine Edmunds als Verstärkung aus Buffalo gekommen. Für 2024 erhofft man sich einen ähnlichen Schub im Defensive Backfield durch die Erfahrung von Pro Bowl Safety Kevin Byard. Der geht zwar schon in sein neuntes NFL-Jahr, blieb bisher aber von Verletzungen völlig verschont. Den jungen Cornerbacks Jaylon Johnson und Kyler Gordon sollte das Plus an Erfahrung zur Absicherung zugute kommen.

Die Bears, die letztes Jahr ihre Saison gegen Green Bay und mit zwei Auswärtsspielen gegen zwei der drei Super-Bowl-Sieger der Vorjahre eröffnen mussten und von Anfang an im Hintertreffen waren, fangen dieses Jahr gegen die Tennessee Titans an. Bis sie diesmal Mitte November erstmals gegen die Packers ran müssen, haben sie nur Spiele gegen Gegner aus anderen Divisionen vor sich, viele gegen Mannschaften im Neuaufbau. Vielleicht werden die Karten in der NFC North dieses Jahr ganz neu gemischt.

Auerbach - 06.08.2024

Caleb Williams sorgte im College Football für Furore - nun auch schnell für die Bears? (© Getty Images)