Duell der Dual-Threats
Dreimal trafen in den Wild Card Playoffs Mannschaften aus derselben Gruppe aufeinander, dreimal setzte sich der Divisionsmeister auch in der Endrunde durch. In den Divisional Playoffs kommt es zum vierten solchen Divisionsduell zwischen Philadelphia Eagles und New York Giants. Im NFC Championship Game eine Wocher später bleibt ein weiteres Aufeinandertreffen zweier NFC-East-Teams möglich, denn mit den Dallas Cowboys setzte sich auch der dritte Playoff-Teilnehmer der Division zum Auftakt auswärts in Tampa durch.
Während für Tom Brady, der bei seiner 20. Playoff-Teilnahme erst das vierte Mal gleich das erste Spiel verlor, damit (vorerst?) Schluss ist, geht es für die anderen nun erst richtig los. Was die Quarterbacks anbelangt, ist das Match in Philadelphia auf seine Art besonders, auch wenn beide bisher jeder gerade einmal ein Playoff-Spiel absolviert haben und nicht 48 wie Brady. Doch Jalen Hurts (Philadelphia) und Daniel Jones (New York Giants) repräsentieren einen anderen Typus an Spielmacher, der in der NFL erst in den letzten ein, zwei Jahrzehnten zu Bedeutung kam: die Dual-Threat Quarterbacks.
Es ist das erste Mal, dass in einem NFL-Playoff-Spiel zwei Teams aufeinander treffen, deren Quarterbacks in der Hauptrunde jeweils mehr als 700 Yards Raumgewinn durch eigene Läufe verbuchen konnten. Hurts hatte 760 Yards am Boden erzielt, Jones 708 - die Plätze vier und fünf unter den Quarterbacks der Saison. Erst viermal gab es überhaupt Playoff-Spiele, in denen beide Quarterbacks zuvor in der Regular Season mehr als 500 Yards erlaufen hatten - alle in den Jahren 2013 bis 2015, als dreimal Russell Wilson (als einziger am Ende auch Super-Bowl-Sieger), dreimal Cam Newton und zweimal Colin Kaepernick in Spielen gegeneinander antraten.
Gut möglich also, dass in Philadelphia am Samstag das Laufspiel seine besondere Rolle spielen wird, nicht nur weil Running Back Saquon Barkley für die Gäste der Schlüssel zum Erfolg sein könnte. Denn Giants-Quarterback Daniel Jones könnte auch aus anderen Gründen gezwungen sein, seine Beine häufiger in die Hand zu nehmen: Mit 70 Quarterback Sacks hat der Pass Rush der Eagles in der Saison eine Ausbeute erreicht, die seit mehr als 35 Jahren kein NFL-Team mehr geschafft hat.
Auch hier war es ein Zeitraum von gerade einmal drei Saisons, in dem (fast) alle bisherigen Rekordmarken in einer besonderen Hochphase der Pass Rusher markiert wurden: Die legendären "Monsters of the Midway" der Chicago Bears waren 1984 mit 82 und 1985 mit 80 Quarterback Sacks in der Saison inklusive Playoffs bisher am erfolgreichsten, gekrönt am Ende von einem Super-Bowl-Triumph, wie ihn auch die Los Angeles Raiders von 1983 (72 Quarterback Sacks) und die New York Giants auf Basis einer starken Defense in jener Epoche holten (die Giants hatten 1985 72 Quarterback Sacks, gewannen den NFL-Titel allerdings erst ein Jahr später).
Die 72er Marke ist für die Eagles nun gegen die Giants in Reichweite, um die Raiders (die 1967 schon einmal auf dem Weg zur AFL Championship 74 Mal den gegnerischen Spielmacher im Backfield vor dem Pass stoppten) oder die Bears einzuholen, wird man wohl mehrere Playoff-Spiele brauchen. Sollten die Eagles es schaffen, Jones, Barkley und die Giants durch ihr Verteidigungsspiel einzuhegen, winken weitere Gelegenheiten, die Marke an Quarterback Sacks hochzutreiben. Gegner im NFC-Finale wäre ja ein Team mit eher passorientiertem Quarterback - das zweite NFC-"Halbfinale" führt die Dallas Cowboys zu den San Francisco 49ers. Die ebenfalls starke Defense der 49ers hat übrigens - um die Leistung der Eagles mal einzuordnen - in der Saison 44 Quarterback Sacks geschafft.
Aber die Kalifornier souverän in die Playoffs und da auch locker in die zweite Runde gebracht. Dies allerdings mit ziemlich unerwarteter Hilfe durch den nominal vor der Saison nur dritten Quarterback im Kader: Rookie Brock Purdy. Im Spiel gegen die Seahawks wurde Purdy auf dem Weg zum 41:23-Sieg nun der erste Rookie-Quarterback, der in einem Playoff-Spiel für vier Touchdowns (drei per Pass, einen per Lauf) seines Teams verantwortlich war. Seine 332 Yards aus Pässen waren die meisten überhaupt für einen Akteur, der zum ersten Mal Starter in einem Playoff-Spiel war, seit 1937 "Slinging" Sammy Baugh mit 358 Yards im NFL-Finale die Washington Redskins zum 28:21 über die Chicago Bears geführt hatte...
Bis die jungen Quarterbacks wie Purdy, Jones oder Trevor Lawrence, der mit den Jacksonville Jaguars am Samstag in Kansas City die Divisional Playoffs eröffnet, einen ähnlichen Platz in den Geschichtsbüchern wie Baugh finden können, ist es noch ein weiter Weg. Lawrence hatte letzte Woche ebenfalls seinen ersten Auftritt in den Playoffs und wie Purdy (nur eben nicht als Rookie) vier Touchdowns verantwortet (alle per Pass), was den Jaguars zum Comeback-Erfolg gegen die Chargers verhalf und sie nun - als Außenseiter - zu den Chiefs und Patrick Mahomes führt.
Wer Favorit und wer Außenseiter im NFC-Klasiker San Francisco vs. Dallas ist - das ist wahrscheinlich auch ein wenig Geschmackssache, nur in den jeweiligen Fanbases wird man sich da wohl sicher sein. Zum neunten Mal stehen die beiden Clubs sich in einem Playoff-Spiel gegenüber, fünf Mal siegten die Cowboys, drei Mal die 49ers. Die Cowboys gewannen auch vier der sechs NFC-Finals, die beide bisher gegeneinander bestritten, das erste Mal 1970. Kein anderes NFC-Duell war häufiger das Finale in der modernen Ära, der Großteil der Finalspiele zwischen Giants und Packers sowie Giants und Bears (auch jeweils je sechs Mal) datiert aus den Frühzeiten der NFL.
Eines der beiden NFC Championship Games, das an die 49ers ging, war allerdings vor 41 Jahren das wohl legendärste Match der beiden und wohl auch eines der spektakulärsten Football-Spiele, die es je gab. Die 49ers zogen damals gegen eine der "Dynastien" der 70er Jahre - die Cowboys hatten fünf NFC Championships und zwei Super Bowls seit 1970 gewonnen - erstmals selbst in den Super Bowl ein, weil im entscheidenden Spielzug Joe Montana den Ball ohne jeden Sichtkontakt an einen Punkt in der Endzone warf, wo er Dwight Clark vermutete, der "The Catch" auch tatsächlich schaffte. Angeblich war es der Moment, in dem der vierjährige Tom Brady auf der Tribüne zum lebenslangen Montana- und 49ers-Fan wurde, in jedem Fall war es der Übergang der Vorherrschaft in der NFC und der NFL aus Dallas nach San Francisco, das in den 80er Jahren vier Super Bowls gewann.
Auch am Sonntag vertrauen die 49ers und ihre Fans wieder auf Brock Purdy. Allerdings haben überhaupt erst vier Rookie-Quarterbacks jemals ein Divisional-Playoffs-Spiel gewinnen können. In keinem dieser Fälle holten sie mit ihrer Offense mehr als 20 Punkte. Da kommt es also wohl doch stark auf die 49ers-Defense an, die die Cowboys mit Quarterback Dak Prescott und den beiden Running Backs Tony Pollard und Ezekiel Elliott in Schach halten muss. Bislang hat Purdy aber in jedem seiner Spiele nicht nur aufs Neue überrascht, sondern immer auch noch zugelegt. Die Liste der vier Rookie-Quarterbacks, die bisher ein Spiel der zweiten Playoff-Runde gewannen, zeigt aber auch, wie nah früher Erfolg und spätes Scheitern beieinander liegen können: Shaun King (wer?) führte 1999 Tampa Bay zum 14:13 über Washington, Mark Sanchez die New York Jets 2009 zum 17:14 in San Diego. Aber immerhin: Joe Flacco (2008 mit Baltimore 13:10 in Tennessee) und vor allem Ben Roethlisberger (2004 mit Pittsburgh 20:17 gegen die Jets) wurden später etablierte Stammspieler und auch Super-Bowl-Sieger mit ihren Teams.
Mit einem Rookie-Quarterback Super-Bowl-Sieger zu werden, ist noch keinem Team gelungen - auch den Kansas City Chiefs mit Patrick Mahomes nicht. Lag sicherlich auch ein bisschen daran, dass Head Coach Andy Reid den Jung-Quarterback ja im ersten Jahr behutsam an die NFL-Aufgabe heranführen konnte und nicht ins kalte Wasser werfen musste. Nun könnten beide zum fünften Mal in Folge das AFC-Finale erreichen, wenn am Samstag der Sieg gegen Jacksonville gelingt. Noch ein Stück Weg bis zum Rekord der Patriots (2011 bis 2018 acht Mal in Folge AFC-Finalist), aber Reid, der zuvor auch mit Philadelphia fünf Mal im NFC Championship Game stand, wäre dann schon einmal der dritte Head Coach nach Bill Belichick (13 Mal AFC-Finale) und Tom Landry (zehn Mal NFC-Finale) mit zweistelliger Anzahl von Teilnahmen an Championship Games.
Ein Super Bowl zwischen Kansas City und Philadelphia wäre für Andy Reid sicherlich eine spezielle Sache. Bis dahin muss er aber zuerst einmal Jacksonville und anschließend mit seinem Team Buffalo oder Cincinnati schlagen. Gegen Buffalo müsste dies auch noch auf neutralem Boden in Atlanta gelingen, nachdem wegen des Spielabbruchs in Cincinnati Bengals und Bills ihr Rundenspiel nicht austragen konnten und die Heimrechtsvergabe für die Playoffs deswegen angepasst wurde. Gegen die Bengals haben die Bills im Duell zweier Teams, die Kansas City in der Saison bezwingen konnten, nun Heimrecht, das sie ansonsten wohl nur mit einem Auswärtssieg in Cincinnati hätten erobern können.
Nicht unwichtig, denn die Bills haben seit 1970 genau nur ein einziges von 14 Playoff-Spielen zu Hause verloren (1996 27:30 gegen Jacksonville). In den 80er Jahren trafen Bills und Bengals zweimal in Playoffs schon aufeinander, beide Male siegten die Bengals dabei in Cincinnati. Es steht aber zu vermuten, dass die jungen Star-Angreifer im Bengalen-Tiger-Outfit sich nicht groß darum scheren. Quarterback Joe Burrow wäre im Erfolgsfall der erste Top-Draft-Pick, der als Quarterback vor seinem 27. Geburtstag einen fünften Playoff-Sieg feiert. Und sollte er dabei Ja’Marr Chase mindestens fünf Mal mit einem Pass bedienen, würde der gerade einmal 22-Jährige nach Receiver-Prominenz wie Larry Fitzgerald, DeAndre Hopkins und Wes Welker erst der vierte NFL-Profi werden, dem in den ersten sechs Playoff-Spielen der Laufbahn jeweils mindestens fünf Fänge gelangen.
Für Chase wäre dies auch bei einer Niederlage zu schaffen - nur dürfte es ihm dann wenig Freude machen. Denn so langsam rückt der Super Bowl näher und kommt die Lombardi Trophy für die nun noch acht Teams in Griffweite. Umso mehr wird jeder Spieler alles daran setzen, alles andere dem Erfolg des Teams unterzuordnen.
Auerbach - 19.01.2023
Auch zu Fuß gut mit dem Ball unterwegs: Daniel Jones (© Getty Images)
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