Für das Jahr 2016 wäre eigentlich die vierte Auflage der Junioren-Weltmeisterschaft geplant. Nach der zunächst in Schweden abgesagten und dann mit einem reduzierten Teilnehmerfeld ersatzweise in den USA gespielten Herren-WM 2015 zeichnet sich nun ab, dass der Junioren-WM 2016 ein ähnliches Schicksal drohen könnte. Über die Website des Weltverbandes IFAF war Mitte November verkündet worden, die Junioren-WM wäre „vorläufig“ nach Harbin in China vergeben.
Seit dem auch infolge der Vorgänge um die Herren-WM bei der IFAF aufgetretenen Bruch zwischen zwei Fraktionen im Weltverband ist nicht nur das „vorläufig“ in der Mitteilung von Bedeutung, zumal mehr als einen Monat später weitere Details nicht öffentlich gemacht wurden und qualifizierte Mannschaften noch auf interne offizielle Ausschreibungsunterlagen warten sollen. Auch ob es sich um eine gemeinsame Initiative beider „Fraktionen“ und nicht um einen Alleingang einer Seite handelt, muss derzeit stets hinterfragt werden.
Beispiele für die Zusammenarbeit über die Lager hinweg waren zuletzt etwa die Junioren-EM in Deutschland, bei der IFAF Europe und deutscher Verband an einem Strang zogen, obwohl die Europaabteilung des Weltverbandes auf der politischen Ebene ansonsten dem AFVD wenig wohlgesonnen ist. Ebenso wird die Vergabe der EM 2018 nach Deutschland eben nicht nur von der „Gruppe der 21“ um den Weltverbandspräsidenten Tommy Wiking befürwortet, sondern aus naheliegenden sachlichen Gründen auch von jener „Gruppe der 19“ um Teile des (Ex-)Managements der IFAF und deren in Canton gewählten Schattenpräsidenten Roope Noronen. Die Zahlen beziehen sich auf die nach eigener Zählung vertretenen Nationalverbände und deuten die Pattsituation an, in der der Weltverband politisch steckt.
Die sich abzeichnenden Planungen für die Junioren-WM tragen nun deutlich die Handschrift der „Gruppe der 19“, mit jener so gering ausgeprägten Sensibiliät für Kosten, wie sie in der Form eigentlich nur aus den Luftschloss-Planspielen der finanziell üppig ausgestatteten US-Mitgliedsorganisation USA Football bekannt ist. Natürlich wäre es eine „hippe Sache“, in China einen Impuls für die Verbreitung von Football zu liefern. Aber auf Kosten der 16- bis 19-Jährigen? Und wie wirkungsvoll ist der Impuls für Gesamt-China, wenn in einer Schwerindustrie-Metropole in der Mandschurei, die Sibirien näher liegt als den maßgeblichen Metropolen Beijing, Shanghai oder Hongkong, gespielt wird?
Das mit den Kosten ist ganz wörtlich zu nehmen. Für das auf 14 Tage Aufenthaltsdauer ausgelegte Turnier wird mit 60 Euro pro Teilnehmer und Tag kalkuliert, die die beteiligten Verbände an die Organisatoren vor Ort zu entrichten hätten. An- und Abreise sind ebenfalls zu schultern, wobei Harbin aus Europa nur über Umsteigeverbindungen erreichbar ist.
Der deutsche Verband hat derzeit für sieben Trainingsmaßnahmen der Vorbereitung für sein als Vize-Europameister qualifiziertes Team rund 20.000 Euro eingeplant. Gelder, die nicht nur den am Ende ausgewählten Nationalspielern selbst, sondern über die Camps vielen weiteren Kandidaten direkt zugute kommen würden und gut angelegt erscheinen, durch den Einsatz von ehrenamtlichen Helfern vor Ort zusätzlich in ihrer Förderungswirkung vervielfacht. Die Reise nach China dürfte dann aber zusätzlich rund das Siebenfache dieser Summe verschlingen: Um die 150.000 Euro wären für Flüge, Unterbringung und die IFAF-Teilnahmegebühr mal eben "nebenbei" fällig.
Es liegt in der Natur der Sache, dass bei WMs mal die einen, mal die anderen bei den Kosten der Anreise draufzahlen müssen. Der japanische Verband etwa macht sich derzeit für China stark, sicher auch in der Hoffnung auf mehr Spielverkehr innerhalb Asiens in der mittelfristigen Zukunft und wegen des berechtigten Interesses an Senkung eigener Kosten. Letztlich soll wohl das gesamte Equipment, die Football-Infrastruktur, von Japan aus temporär in Harbin zur Verfügung gestellt werden. Aber noch ist China nicht einmal Mitglied in der IFAF, der nationale Rugby-Verband soll wohl stellvertretend aufgenommen werden, um der Satzungspflicht nachzukommen, dass IFAF-Turniere nur in Mitgliedsländern gespielt werden dürfen.
Gerade am Beispiel der Junioren-WMs lässt sich mit dem möglichen Gang in einen hinteren Winkel Chinas die Entwicklung bildhaft skizzieren, die jene „Gruppe der 21“ bei der Turnierstrategie der IFAF als kontraproduktiv für die Gesamtentwicklung anprangert. Es begann in Zeiten der üppigen Querfinanzierung des Weltverbandes über NFL-Subventionen an USA Football mit einem grandiosen Turnier in Canton - kein besserer Ort als die „Wiege des Footballs“ hätte für diese Premieren-WM auch unter dem touristischen Aspekt für die jugendlichen Teilnehmer gefunden werden können.
Allerdings: Die übertriebenen Hoffnungen auf öffentliches Interesse zerstoben, sodass die zweite Auflage dann schon „nur“ in Texas gespielt wurde - in Austin ebenfalls praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Statt nun im Interesse des Jugend-Footballs unter Berücksichtigung einer angestrebten möglichst breiten Beteiligung und den offensichtlich durch Zuschauer- oder Sponsoreneinnahmen nicht zu deckenden Kosten nach günstigen Austragungsorten zu fahnden, die weltweit wenigstens gut angebunden sind, fand sich für die dritte Auflage dann schon nur noch in Kuwait ein williger Ausrichter. Die engagierten Gastgeber machten das Beste daraus, aber im Sommer bei knapp 40 Grad mit Kickoff-Zeiten kurz vor Mitternacht und ebenfalls bereits üppigen Reisekosten (die letztlich so oder so von den Aktiven oder ihren Eltern zu zahlen sind, entweder direkt oder über ihre Beiträge an Vereine oder Verbände) zusätzlich zu den von der IFAF verlangten Meldegebühren schmälerten den Spaß an der Sache.
Nun also Harbin, mehr als 1000 Kilometer nordöstlich von Beijing Zentrum eines chinesischen Industriegebietes? Eine Millionenmetropole, in der vor einigen Jahren schon einmal die Trinkwasserversorgung für ein paar Tage wegen akuter Verschmutzung der umliegenden Flüsse abgestellt wurde oder der Auto- und Nahverkehr auch mal wegen dichter Smog-Glocken komplett unterbunden wird? Wo ein lokales Unternehmen von IFAF-Vertretern die Ausrichtung zu Bedingungen angeboten bekommen hat, die das finanzielle Risiko (nahezu) komplett auf die beteiligten Athleten abwälzen?
Gerade für die europäischen Verbände wird es eine knifflige Kosten-Nutzen-Rechnung geben, wenn die Planungen konkreter werden. Darf man für eine solche Football-Reise von 16- bis 19-Jährigen 3.000 Euro oder mehr pro Kopf ausgeben - erst einmal ganz unabhängig davon, welchen Anteil der „Verband“ (also die Gemeinschaft aller Footballer über ihre Beiträge) und welchen der einzelne Sportler selbst übernehmen muss? Zusätzlich nimmt auch die Terminplanung wenig Rücksicht auf den nationalen Spielbetrieb. Junioreneuropameister Österreich, dessen Kader zu großen Teilen in der AFL engagiert ist, wird kaum während der AFL-Playoffs im Juli diese Spieler aus den Vereinen abziehen wollen, um sie nach China zu schicken.
Bleibt es bei den Terminplanungen der IFAF, müssen beim AFBÖ immerhin erst gar nicht die Kosten nachgerechnet werden - die WM-Teilnahme von Team Austria stünde wohl kaum zur Debatte. Anders ist die Lage bei noch laufenden Diskussionen in Deutschland. Der Spielplan der GFL Juniors ist noch nicht endgültig festgezurrt, seit November wartet man nun auf offizielle WM-Ausschreibungsunterlagen, um tatsächlich über die finanziellen und terminlichen Bedingungen beraten zu können.
Aber nun ist es Weihnachten geworden - und inzwischen drängt sich der Verdacht auf, dass man als Vizeeuropameister vielleicht ja gar nicht offiziell eingeladen werden soll. Was schon ein starkes Stück wäre, vor allem wenn man bedenkt, dass die Junioren-EM in Dresden, gleichzeitig ja auch WM-Qualifikationsturnier, vom deutschen Verband unter Übernahme sämtlicher Kosten der Teilnehmernationen vor Ort ausgerichtet worden war. Allen Differenzen der beteiligten Nationalverbände über den künftigen Kurs der IFAF zum Trotz standen da der Service am Athleten sowie die sportliche Chancengerechtigkeit im Mittelpunkt. Bei der WM in China könnte es nun wieder auf Anderes ankommen: Wer ohne Murren bezahlt, darf auch mitspielen...
Auerbach - 23.12.2015
Österreichs und Deutschlands U19-Teams: in Dresden im EM-Finale, bei der WM außen vor? (© Thomas Sobotzki)
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